Guten Tag zusammen!
Habt Ihr Euch den Zieleinlauf angeschaut? Wie hat er auf Euch gewirkt?
Ich war zu seinerzeit schockiert und fasziniert zugleich. Schockiert, wie ein Körper in einem so tiefroten Bereich noch funktionieren kann und fasziniert, wie stark der Wille in dieser Frau sein muss, diese seelische und körperliche Überanstrengung punktgenau bis ins Ziel zu bringen, um dann erst zusammen zu brechen….
Als ich dieses Video auf YouTube suchte, fand ich kein Original-Fernseh-Mittschnitt, nur Versionen, die das Verhalten der Frau als Paradebeispiel für Durchhaltewillen, Disziplin und olympischen Geist glorifizieren. Kann man so sehen, muss man aber nicht….
Warum die Frau das durchhalten konnte?
Sie hatte den Traum (das Ziel) am ersten olympischen Frauen-Marathon teilzunehmen (und durchzustehen).
Sie hatte genug Zeit und Vorlauf sich darauf vorzubereiten, d.h. sie konnte ausreichend trainieren. Und Du musst sehr viel und sehr lange für einen Marathon trainieren. Das heißt für mich, sie konnte ihre Lebensumstände (wie auch immer sie das geschafft hat) in den Jahren des Trainings anpassen können, um fokussiert ihr Ziel zu erreichen. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre alleinerziehender Vater, arbeite Vollzeit und hätte kein soziales Umfeld, welches mir unter die Arme greift und ich dann noch für ein Marathon trainieren sollte…. Schnappatmung!
Ferner kommen nach dem Training auch Entspannungsphasen, der Körper fordert diese regelrecht ein, damit er leistungsfähig bleibt. Dadurch kennt die Frau ihren Körper sehr genau, nimmt diesen wahr und kann die Signale, die er sendet, deuten. Heißt für mich, sie wusste ganz genau, dass sie dieses eine (für sie das wichtigste) Mal, der Zieleinlauf Marathon, ihren Körper bis an den Rand der Implosion bringen konnte. Das war schon ein Risiko, aber ein kalkuliertes. Und vielleicht auch ein bisschen Glück.
Die Disziplin und den Willen bei jedem Wetter und jeder Stimmungslage für einen Marathon zu trainieren, kann wohl wirklich jeder würdigen, der sich schon mal mit schlechter Laune an einem Regentag die Decke über den Kopf zieht und sich denkt: „Ich gehe da heute nicht raus zum Laufen..!!“.
Die Läuferin hat somit eine verdammt hohe intrinsische (=von einem selbst ausgehende) Motivation. Am Wettkampftag selbst kommt dann noch die extrinsische (von außen herangetragene) Motivation hinzu. Es ist schon ein geiles Gefühl, von den Zuschauern bejubelt und gefeiert zu werden, das beflügelt ungemein. Das hat unsere Läuferin wohl auch über die letzten beiden Runden im Stadion auf den Beinen gehalten….
So, nun weißt Du, was eine Hochleistungssportlerin ausmacht.
Und was hat das nun mit Burnout zu tun?
Rufe Dir noch einmal das Video vor Augen und stelle Dir nun folgendes vor:
Das Torkeln des Körpers findet nun im Gehirn statt, der glasklare Wille stählt nun den Körper, der akkurat und wie gewohnt sportlich in die Arena einläuft..
Was siehst Du jetzt? Eine Läuferin, vielleicht nicht mehr die Schnellste, die aber scheinbar mühelos ins Stadion kommt, um nach Überschreiten der Ziellinie zusammen klappt.
Was hat die denn? Die sah doch bis eben noch ganz fit aus!
Burnout beginnt in Deinem Kopf. Da ist kein Schild auf der Stirn, es gibt keine klar definierten körperlichen Symptome, die von außen sichtbar sind und jedem signalisieren, Du, der ist ja krank. Du torkelst nicht wie die Läuferin. Tätest Du dieses, würden die Leute, die Dich sehen, denken: oh der ist ja besoffen oder oh, der hat wohl Kreislauf. Auf jeden Fall würde Dir wohl jemand (hoffentlich) einen Krankenwagen rufen, damit Dir weitergeholfen wird.
Burnout kommt langsam und verstärkt sich mit der Zeit, und Du bist damit ganz allein, kannst das alles zuerst gar nicht deuten. Später verdrängst Du es….
Erst im zeitlichen Rückblick merkst Du, wie sich es aufgebaut hat, wie es sich einnistet und sich ausbreitet….
Bei mir fing es mit Herzrasen in der Nacht an. Schweißgebadet hast Du einen Ring um die Brust, lässt Dich in die Notaufnahme einliefern, hast Angst, dass deine Pumpe gleich den Dienst quittiert. Ab dem dritten Anfall weißt Du eigentlich es ist stressbedingt, trotzdem hast du jedes Mal Angst, das isses jetzt aber doch wirklich, oder? Das MUSS doch was organisches sein. Verstand und Gefühl driften auseinander, diese beiden zusammenzuhalten, bzw. in Übereinstimmung zurückzubringen kostet verdammt viel Kraft. Kraft, die Du brauchst, um morgen im Job deinem Mann zu stehen. Einen Job, der dir eigentlich über den Kopf wächst, weil mehr auf deinem Tisch landet, als Du wegschaffst, Du arbeitest länger, überlegst Dir nachts, wenn du nicht schlafen kannst, wie Du Dies oder Das lösen kannst. Zwischendurch hast Du immer mal wieder Anwandlungen von Angst und Verzweiflung, ja sogar Hoffnungslosigkeit über deine jetzige Situation. Dein Verstand und dein Wille mahnen dich aber schnell wieder zum Weitermachen, es MUSS ja….
Mittlerweile fährst du nach extrem stressigen Tagen mit einer Panikattacke im Auto nach Hause. Du quälst Dich nach Hause, legst Dich ins Bett und betest zu Gott, dass diese Scheiß Angst bald mal weggehen MUSS. Du stehst morgens auf und hast einen nervösen Magen, du würgst, wenn du dir nur die Zahnbürste in den Mund steckst, du isst morgens nichts mehr…
Du nimmst mal einen Tag frei, um Dich auszuruhen (das MUSS ja auch mal sein!), aber nicht länger, du MUSST ja wieder schaffen gehen. Krank melden? Geht ja gar nicht! Ich mache mal eine Woche Urlaub und gehe regelmäßig zum Wellness, das MUSS doch dann aber auch helfen…
Abends bist Du so kaputt, dass du keinen Sport mehr machen willst geschweige denn noch Freunde sehen willst (MÜSSTEST Du aber eigentlich sagt Dein Verstand!). Also nimmst du dir ein, zwei oder drei Bier, um mal wieder runter zu kommen und gut durchschlafen zu können.
Du erhöhst die Dosis deiner Blutdrucktabletten und nimmst Tabletten, die Dein mittlerweile ständig erhöhten Angstlevel auf ein erträgliches Maß zurückdämpft. Es MUSS ja weiter gehen. Wirf eine Pille ein, dann funktionierst du wieder.
Du hegst erste Fluchtgedanken im Job, weil es dir so sinnlos erscheint, kein Lob, keine Anerkennung, nur noch schaffe, schaffe. Ach, das sind doch nur Tagträume, weitermachen, du verdienst ja gutes Geld dafür…..Der Wille, dein Verstand peitscht Dich weiter durch den Alltag und raubt dir weiter Energie, die du eigentlich gar nicht mehr hast…. Der Körper meldet dir das immer öfter und immer stärker: Nackenschmerzen, die Migräne aus deiner Jugend kommt zurück und streckt dich tageweise nieder, Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, zuckende Beine im Schlaf, die dich drei bis vier Mal in der Nacht wecken, weil der Ausschlag der Beine so groß ist. Du MUSST jetzt doch aber schlafen, weil gleich geht der Wecker…
Morgen früh MUSST du erst in eine Telko, und dann MUSST du für einen Fixtermin die Kalkulation machen, ach Du scheiße, gestern MUSSTEST du ja für einen Kollegen die Präsentation korrigieren und weiterleiten, am Wochenende MUSST du auf einen Geburtstag, du MUSST dringend auch mal wieder Rasen mähen,
…. DU MUSST…
…. DU MUSST…
…. ICH KANN UND WILL ABER NICHT MEHR….
…. DU MUSST ABER….
…. NEIN, ICH KANN….
…. DU MUSST …. (denkt daran, das spielt sich alles in Deinem Kopf ab, das sieht kein einziger von außen..)
Du ahnst und spürst schon lange, dass sich vor dir eine Welle gigantischen Ausmaßes auftürmt, kennst aber keinen Ausweg und machst weiter.
…. Weil, du MUSST ja!….
…. Die Welle bricht….
Nur: Du bist mittlerweile so willen- und kraftlos, dass Du nicht auf ihr reitest, sie bricht genau über dir zusammen.
So. Du hast es nun also doch geschafft. Nichts ist mehr wie es war.
Endlich. Du bist deinem trost- und hoffnungslosen Alltag entronnen. Du kannst ihn ja auch gar nicht mehr bedienen, deinen Alltag, denn Du bist ab genau jetzt ein Klumpen aus einer wahnsinnigen Existenzangst gepaart mit unendlicher Hoffnungslosigkeit. Weil du absolut nicht mehr weiter weißt und kannst. Diese schiere, blanke Angst war bei mir spitzenweise so existenzbedrohend, dass ich wirklich in Erwägung gezogen habe mich vor den Zug zu schmeißen.
Dieser Gedanke erschrak mich so sehr, dass ich nun endlich realisierte, externe Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Die Schwester meiner Ehefrau, war zu der Zeit gerade in psychischer Behandlung in Alsterdorf. Ich hatte damit Gott sei Dank eine sofortige Anlaufadresse…
Ich hatte meinen ersten Tagesklinikaufenthalt gebucht….
Nun hatte ich genug Zeit, um meinen verkorksten ersten Kopf-Marathon als unvorbereiteter Amateur Revue passieren zu lassen. Ich hatte eigentlich kein spezielles Ziel verfolgt, ich wollte nur gute Arbeit leisten, meine intrinsische Motivation war gering bis nicht existent. Mich hielt stets die extrinsische Motivation (Lob und Anerkennung durch Freunde, Bekannte, Kollegen oder sogar Wildfremde), indem ich immer versuchte es allen Recht zu machen, um Wertschätzung für mein zu kleines Ego zu erlangen. Wenn mein Umfeld sich dann (ziemlich oft) nicht erbarmte, mir wärmende Worte und Aufmerksamkeit zu schenken, war die extrinsische Motivation auch schnell auf geringem Niveau. Wenn dich nun nichts mehr motiviert, und du unverändert weitermachst schaltest du um auf Funktionieren. Du peitscht dich ohne Rücksicht auf Verluste, vollbringst jeden Tag energetische Höchstleistung, um deinen eisernen Willen zum Durchhalten zu nähren, um deine Gefühle, die achterbahnmäßig mehrmals am Tag von Angst, Verzweiflung auf Euphorie und Glück, blanke Wut und zurück wechseln im Zaum zu halten, und um deine körperlichen Symptome zu unterdrücken, die sich immer stärker bemerkbar machen und dich echt nerven….
Ruhepausen, wie sie die Läuferin zur Regeneration eingelegt hat? Nicht nötig. Die Lebensumstände auf seine veränderte energetische Lage anpassen? Ich hab‘ das doch sonst auch alles immer geschafft. Also weiter…. Nach außen gibst du immer noch den netten Menschen, keiner merkt eigentlich, dass du im Kopf schon torkelst.
Die, die es merken und dir zu verstehen geben, dass du dich gerade selbst fertig machst, werden nicht ernst genommen. Du unterdrückst ja sogar deine eigenen Hilfeschreie mit großer Bravour….. Du bleibst viel zu lange allein in Deinem Kopf-Marathon. Du hast dafür auch gar nicht trainiert. Du machst gerade ein Echtzeit-Experiment….
…
Wenn Du nach dem Lesen dieses Blogbeitrages ein oder mehrere oben beschriebene Symptome dein eigen nennst, und sich diese über einen längeren Zeitraum (mehrere Wochen) bemerkbar machen oder sich sogar manifestieren, bist du auf dem besten Wege, deinen Marathon so exzellent zu versemmeln, wie ich es tat.
Vergiss‘ dich nicht selbst, indem du ständig auf dich achtest.
Sind deine Ziele zu hoch gesteckt (vielleicht sogar unrealistisch), passe sie nach unten an. So bleibst Du intrinsisch motiviert, übrigens die beste Motivation: Du machst es aus Dir heraus für Dich. Jede extrinsische Motivation hingegen kann von Dir nur in einem kleinen Rahmen selbst beeinflusst werden. Bist du z.B. abhängig von der Wertschätzung der anderen, damit du dich überhaupt gut fühlst, diese aber einen schlechten Tag haben und dich evtl. nicht mal absichtlich ignorieren, fühlst du dich schlecht, obwohl du in keinster Weise was dafür kannst außer, dass du dich noch mehr anstrengst von den anderen Aufmerksamkeit zu erhalten….
Gönne dir regelmäßig Ruhepausen und Zeit für Dich, du musst deine verbrauchte Energie auffüllen, damit du da draußen weiterhin unbeschadet bestehen kannst.
Du bist Deine wichtigste Angelegenheit, kein Anderer oder ein Temin, oder ein Anruf ist wichtiger…!
Niemand und niemals!
Pass also auf Dich auf, nicht jeder kann und sollte Marathon-Sport betreiben!
Zum Schluss trotzdem noch ein Interview mit der Marathonläuferin über ihre Sicht der Dinge…
Viele Grüße und Lächeln hilft. Immer!